LYSippos.
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dem Werke einen Gedanken unterlegte, der (es so viel
wie möglich zugänglich machte. Ohne die künstlerischen
Vorzüge des trefflich gearbeiteten Werkes zu verkennen,
dürfen wir doch gestehen, dass in dem kleinen Verhält?
nisse des Kopfes und in der übermässigen Muskulatur
etwas Gekünsteltes liegt, das sich weit von der gross-
artigen Einfachheit der ii-ühern Kunst entfernt. Es macht
sich schon eine Manier, eine, wenn man es so nennen
darf, renommistische Kraft geltend. Dass diese Auffas-
sung, in der Lysippus vor-herrschte, die gemeinsame seiner
Zeit gewesen, können wir schon (laraus schliessen, dass
auch von Euphranor berichtet wird, er habe die Körper
schlanker gemacht, und wir verstehen dann auch, was
wir darunter zu denken haben, wenn von diesem Euphra-
nor ferner gesagt wird, dass er zuerst die VVürde der
Heroen auszudrücken gewusst habe. Die Phantasie war
jetzt mehr mit dem Menschlichen als mit dem Göttlichen
beschäftigt. Die Heeresmassen, die weiten Länderstrecken,
von denen es sich in den Zügen des lebenden Heros
handelte , führten auf eine sinnlichere Auffassung der
Grösse. Während man auf Gegenwärtiges, auf die Por-
trätwahrheit lebender Gestalten gerichtet war, überstiegen
zugleich die Heldenthaten deslköniglichen Jiinglings das
Maass der kühnsten Erwartung. Wie er sich selbst den
Sohn des Gottes glaubte, genügte auch der Kunst das
menschliche Maass nicht mehr, sie musste sich über die
Natur hinaus steigern, bei aller Porträtwahrheit ihr Ge-
walt anthun. Es war nicht mehr, wie in der Kunst des
Phidias, das göttlich Erhabene, das sich mit menschlichen
Formen bekleidete, sondern das Menschliche, das sich
zu überirdischer Grösse auszudehnen strebte. Der Poesie
des Genusses, welche den Praxiteles begeisterte, war