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Dritte
Periode
der
griech.
Kunst.
sehen in dieser kolossalen und vortrefflich gearbeiteten
Figur den Heros stehend, über einen Baumstamm gelehnt,
der linke Arm daran herabhangend, der Rechte auf dem
Rücken liegend, die ganze Gestalt bequem ruhend. Die
Brust ist von mächtiger Breite, alle Muskeln sind stark
und fast übermässig ausgearbeitet. Der Kopf auffallend
klein, seitwärts gesenkt, hebt durch diese IIaltung das
Stierähnliche, das schon in seiner Bildung liegt, noch
mehr hervor. Winkelmann ü) warnt, die Gestalt mit
gründlicher Ueberleguilg zuabetraehten, damit man nicht
den poetischen Geist des Künstlers für Schwulst, die
ideale Stärke für übermässige Kcckheit nehme. Er denkt
ihn sich hier zwar ruhend, aber mitten in seinen Arbei-
teu vorgestellt, deshalb mit aufgeschwollcneil Adern und
angestrengten Muskeln, die über die gewöhnlichen Maasse
elastisch erhöhet sind, so dass wir ihn gleichsam erhitzt
und athemlos, nach einem mühsamen Zuge ruhen sehen.
Der Künstler, meint er, habe sich hier als Dichter gezeigt,
indem er sich über die gewöhnlichen Formen der Mensch-
heit erhoben hat; in den Muskeln, die wie gedrungene
Hügel liegen, habe er die schnelle Springkraft ihrer Fi-
bern ausdrücken und sie nach Art eines Bogens zu-'
sammengezogen zeigen wollen. Seit Winkelmanns Zeit
hat sich unsere Kenntniss des Alterthums (man erinnere
sich, dass er weder die aeginetischen Statuen noch die
Seulpturen des Parthenon kannte) bedeutend enveitert und
in gleichem Maasse das Kunstgefühl verändert. Schwer-
lich möchte man auch diesem günstigen Urtheile noch
heute beistimmen. Der Begründer der Kunstgeschichte
hat auch hier wieder, wie so oft, sieh selbst als Dichter
gezeigt, indem er mit seiner liebenswürdigen Begeisterung
Werke
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