Die
Gruppe
Niobe.
der
289
Kunst wirksamer, und in der That sind auch die griechi-
schen 'l'ragiker in Klagen der Männer nicht zurückhaltend;
allein selbst für die Poesie mag hier eine Gränze sein,
gewiss für die bildende Kunst. Sie ist zu sehr ange-
wiesen, jedes Geschlecht in seinem Charakter zu halten.
Der Mann im Schmerze wird gewaltsam oder gedemüthigt,
er verliert die Haltung, welche sein Geschlecht ihm an-
weist; das Weib aber darf klagen, ohne sich zu entwiir-
digeu, für sie ist vielmehr die Klage die tiefste, ernsteste
Aeusserung, sie kann darin den Adel ihrer Seele am
Kräftigsten offenbaren. Gewiss ist diese Niobe die edelste.
riihrendste Erscheinung des Schmerzes. Noch ist sie
nicht bloss klagend, sie ist noch schützend, in sanfter
Biegung sucht sie das Töchterchen, das sich an ihre Kniee
schmiegt, zu declien; ihr andrer Arm umfasst schon den
Schleier und das Haar in schmerzhafter Bewegung, aber der
Kopf ist noch zurückgebogen, das Auge aufwärts gewandt
um Schonung, Hülfe von den Göttern zu erflehen. Um ihre
Züge schwebt der Adel der reinsten Schönheit, ihre
hohe Gestalt in mütterlicher Fülle hat den Ausdruck der
gesundesten Kraft; das Gewand umwallt in ruhigen.
würdevollen Linien die Formen des Körpers, Anmuth und
Sitte behaupten auch im höchsten Unglück ihr Recht.
Die Herrschaft der Seele in der gerechtesten Aufregung
der Leidenschaft theilt sich dem Beschauer mit, wir sind
gerührt, aber zugleich gekräftigt und gehoben.
.Die Schönheit _der Kinder entspricht der der Mutter,
sie sind der Eifersucht der Götter würdig. Besonders
die der 'l'öchter; für die Söhne ist die geringere Grösse,
welche ihnen bei der Anordnung der ganzen Gruppe ge-
geben werden musste, minder vortheilhaft, wenigstens
wenn wir die Gruppe im Ganzen überblicken, denn im
u. 19