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Periode
Dritte
der
griech.
Kunst.
Diana und Apoll sichtbar gewesen, ist ungewiss. Be-
kanntlich war es ein Gegenstand vieler hellenischen
Mythen, die Schranken des Menschlichen geltend zu
machen, und die Strafe des Uehermuths einzuprägcn,
Das Hohe, das Schöne, das Glückliche ist gefährlich,
dennes verleitet zum Frevel, und die Götter dulden das
Uebermässige nicht. Es liegt darin das tragische Gefühl,
dass grade das Höchste und Schönste dem Zorn der
Himmlischen am Meisten ausgesetzt ist, oder, wie wir
es christlicher aussprechen würden, dass das Irdische
auch in seinen höchsten und schönsten Erscheinungen so
vergänglich ist. Aber grade in diesem 'l'odeskampfe
entwickelt sich die Kraft und Schönheit der menschlichen
Natur am Bedeutendsten, und eben dieses 'l'ragische ist
daher wieder die herrlichste Erscheinung des menschlichen
YVesens. Dieses Gefühl ist es, Welches die Tragödie
zum Gipfel der griechischen Poesie machte; aber fast
kann es sich nicht vollkommener aussprechen, als in dieser
Gruppe, und vielleicht darf man sagen, dass ohne sie
uns etwas an dem Verständnisse der griechischen 'l'ra-
gödie fehlen würde. Hier und vorzüglich in der Gestalt
der Mutter ist der Adel der sophokleischen Dichtung zur
unmittelbaren, einfachen Erscheinung gebracht.
Bei dem Verwalten des männlichen Elements in der
griechischen Kunst kann es überraschen, dass hier eine
Frau die Hauptrolle spielt; doch ist dies wohl erklärbar.
Das Leiden des Mannes ist vielleicht tragischer als das
des Weibes; die Stellung der Frauen gewöhnt und übt
sie zu dulden; des Mannes Beruf ist die That, der Schmerz,
der ihn lähmt, ist seiner Natur feindlicher. Ebendeshalb
ist vielleicht die Aeusserung des Schmerzes bei einem
Manne bedeutender und ergreifender, und für die tragische