Polykleitos
un d
Myron.
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entspricht die Erhabenheit ihrer Züge ganz diesem Zeit-
alter. Die Darstellung des Göttlichen gelang indessen
dem Polyklet wohl nicht in dem Maasse wie dem Phidias.
Nach der Bemerkung eines römischen Schriftstellers
(Quintilian) übertrafen seine Werke alle andern in der
Vollendung, aber es fehlte ihnen an Kraft. Der Men-
schengestalt (heisst es ferner) gab er eine Zierlichkeit,
die das Wahre überstieg, in den Götterbildern aber schien
er dem Mächtigen nicht zu genügen. Auch werden in
der That keine namhaften Götterbilder von seiner Hand
weiter angeführt, dagegen war er mehr mit zartern Ge-
genständen beschäftigt. In einem künstlerischen WVett-
streite (wir sahen schon oben einen solchen zwischen
Alkamenes und Agorakritus den Schülern des Phidias,
sie scheinen üblich gewesen zu sein) besiegte Polyklet
seine Mitbewerber , obgleich selbst Phidias sich unter
ihnen befand. Es galt nämlich die Darstellung einer
Amazone für den Dianentempel zu Ephesus, und vielleicht
sind uns unter den mehrfachen Amazonenstatuen, die auf
uns gekommen sind, Nachbildungen der in diesem Wett-
kampf entstandenen Werke erhalten. Für seine Kunst-
richtung ist es bezeichnend, dass eine seiner Statuen,
der Doryphoros, ein speertragender Jüngling, von den
Künstlern Kanon d. i. die Regel genannt wurde, weil
die Körperverhältnisse für die richtigsten und schönsten
galten. Bezeichnend ist dieser Name für die griechische
Kunstansicht, welcher die Natur, so sehr sie sich auch an
sie anschloss, nicht als die letzte entscheidende Regel der
Kunst galt. Auch eine andere, scheinbar äusserliche Ver-
änderung schrieb man ihm zu. Bisher hatte man stehende
Figuren mit beiden Füssen gleichmässig auftretend, ent-
weder ruhig, völlig einwärts, oder stark schreitend