Würdigung
des
bildnerischen
Styls.
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lieh, dass auf einem Boden, der auf diese WVeise vom
Unkrautc reingehalten wurde, das Nützliche und Edle
frei empor Wachsen musste. So rühmt Lucian an einer
andern Stelle das Vergnügen, welches dem Beschauer
dieser Spiele dadurch entstände, wenn er nicht bloss die
Schönheit der Leiber, die bewundernswürdige Wohlge-
stalt, die gewaltigen Fertigkeiten und die unbekämpfbare
Kraft, sondern auch die Kühnheit und Ehrliche, die un-
bezwungene Gesinnung und den unermüdlichen Eifer für
den Sieg beobachte. So preisen auch die Pindarisehen
Oden weniger die Körperkraft als die Frömmigkeit und
Tugend des Siegers, die Scheu vor Uebermuth und Un-
mässigkeit, die Ehrfurcht vor dem Gesetze und den
Aeltern, die edle Gesinnung gegen Freunde und Fremd-
linge, den würdigen Gebrauch des Reichthlnns. Durch
die Gymnastik entfaltete sich also die Freiheit und Eigen-
thümlichkeit der Charaktere, so weit es überhaupt statt-
haft War; in der Musik dagegen war nicht das frei
Belebende, Anregende, sondern nur das bindende und
regelnde Maass wirksam.
Den Griechen schwebte gewiss ein sittliches Ideal des
Menschen vor, aber sie betrachteten es nicht wie ein bloss
geistiges, der Körperlichkeit entzogenes, sondern strebten
vielmehr, es aus und durch diese zu erreichen. Die Er-
ziehung begann daher mit dem Aeusserlichen; aus der
körperlichen Zucht entwickelte sich die geistige 'l'üch-
tigkeit. Sie scheinen deshalb auf einer niedrigem Stufe
zu stehen, wie die andern Völker, welche unmittelbar
nach einem geistigen Vor-bilde strebten. Allein indem
ein solches dazu nöthigt, die Natur von aussen her nach
geistiger Regel zu beschränken, wirkt es als ein hemmen-
der Zwang, während die Griechen durch ihr im höhern
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