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Zweite
Periode
d er
griech.
Kunst.
war durch ihr strenges rhytmisches Maass und durch
die Beschränkung auf gewisse festgestellte , einander
ansschliessende 'l'0narten in engen Gränzen gehalten.
Ihre eigentliche Aufgabe, die feinsten, innerlichsten Re-
gungen des Gemüthes auszudrücken, erfüllte sie daher
nur unvollkommen, so bezaubernd sie auf die Zeitgenosv
sen wirkte. Die Gymnastik dagegen erlangte eine hohe
Bedeutung wie in keiner andern Zeit. Von der Begeiv
sterung, mit welcher diese körperlichen Uebungen be-
trachtet wurden, vermögten wir uns kaum eine Vorstellung
zu machen , wenn nicht jene glänzenden Lobgesänge
Pindars und einzelne Aeusserungen der Philosophen und
Geschichtschreiber Zeugniss davon gäben. Alle stimmen
darin überein, nicht bloss die Abhärtung der Leiber und
die Kräftigung der Glieder daran zu rühmen, sondern
auch die geistige Wirkung. Noch in später Zeit und
gleichsam beim Untergange der Sonne des griechischen
Geistes fasst Lucian in einem Gespräche, das er zwi-
schen Solon und dem Scythen Anacharsis halten lässt,
die ganze Ansicht der Griechen von diesem Gegenstande
zusammen. Dieses , sagt Solon zu seinem scythischen
Gastfreunde, dieses sind die Uebungen , die wir mit
unsern Jünglingen anstellenyindem wir glauben , dass
sie dadurch zu tüchtigen Wächtern der Stadt gebildet
werden; ausserdem aber werden sie auch im Frieden um
vieles besser sein, indem sie nichts Schlechtes zum Ziel
ihrer Bestrebungen machen, noch sich aus Müssiggang
zum Uebermuth und Muthwillen wenden, sondern sich
mit solchen Dingen beschäftigen und darin thätig sind.
Man sieht, diese geistige WVirkung ist hier zunächst nur
von ihrer negativen Seite, als Abhaltung vom Schlechten
und Tadelnswerthen, ausgesprochen. Allein es ist natür-