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Griechen.
Gesetzlichen beigegeben. Ihre Weisen und Dichter, als
sie Worte für das allgemeine Gefühl fanden, nannten
vor Allem die Mässigun g als das Schönste, das Maass-
lose, Ueberschreitende als das den Göttern Verhasste.
Diese Verbindung eines männlichen und weiblichen Ele
mentes, des praktischen thatkräftigen Sinnes mit dem
zarten Gefühle für Zurückhaltung, Maass und Schönheit
ist der eigenthümliche Vorzug der Griechen. Sie, die
das Gefühl, bis wie weit zu gehen sei, in sich trugen,
bedurften nicht äusserer Schranken priesterlicher Satzung,
und verbanden dadurch die Frische der Freiheit mit den
Vortheilen geordneter Bildung. Während jene Völker,
bei denen die Religion die unmittelbare Lehrerin in allen
Beziehungen war, stets eine Spur der Hemmung, des
Ungeschickten und Steifen in ihren geistigen Leistungen
behielten, bewegte sich das griechische Volk in natür-
licher zwangloser Anmuth.
Auch für das geschichtliche Leben der Griechen im
Staate war diese schöne Mischung der Gefühle höchst
wichtig. Jene andern Völker waren die Herrschaft des
Zwangsgebotes gewohnt; Priester und Könige mochten
sich gegenseitig beschränken, die Andern waren unter-
worfen. Daher war ihnen auch die Ausdehnung der
Islerrschaft, die Eroberung etwas Natürliches. Dem Grie-
chen war die Tyrannei einheimischer Herrscher verhasst,
Unterwerfung unter Fremde unerhört. Nur was gemein-
sam bestimmt war, galt als Gesetz; selbst als noch Kö-
nige an ihrer Spitze standen, war überall die Volksge-
meinde entscheidend. Daher zerfiel Griechenland noth-
wendig in kleine Staaten, denn nur im kleinen Umkreisc
verstehen sich viele so, um einig zu sein. Allein während
sie die Freiheit und das Recht der Einzelnen anerkannten.