Würdigung
des
bildnerischen
Styls.
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der allgemeinen Sitte unterzuordnexl, nichts Eigenthünn;
liches und Abweichendes durchblicken zu lassen. Die
Freiheit schuf sich ihre Basis durch eine strenge Gleich-
heit des Maasses, welche allerdings höhere geistige An-
sprüche nicht begünstigte, ja selbst nicht duldete. Auch
jetzt gab es hervorragende Geister, aber diese waren
Gesetzgeber und wandten also ihre Kraft nur auf die
Befestigung der allgemeinen Regel. Selbst die Sprüche
der Weisen führten alle nur auf die Empfehlung jener
ruhigen Gleichheit des Maasses hin. S0 war der Sinn
für Symmetrie und Ordnung, für feierlichen Ernst und
ehrbare Religiosität durchaus und strenge vorherrschend,
und nur innerhalb der Gränzeil, welche durch ihn gezogen
wurden, bewegte sich der griechische Geist. Dies war
auch das Conventionelle, der Zwang, Welcher die Kunst
von freier Beobachtung der Natur zurückhielt; es bedurfte
nicht, wie man wohl gemeint hat, einer absichtlichen und
ausdrücklichen priesterlichen Satzung. Aber fi-eiliclrist
grade in den höhern Gebieten geistigen Lebens, wo sich
die Individualität am Eiltschiedeilsteil und Freiestexi aus-
zubilden vermag, dieser Sinn feierlicher, symmetrischer
Ordnung am Meisten fühlbar, und er mag hier, wenn man
eine solche Zeit mit spätem und mehr entwickelten Zustän-
den vergleicht, als eine harte Beschränkung erscheinen.
Die Alten nennen bekanntlich die Musik und die
Gymnastik als die beiden grossen Bildungsmittel der
Jugend, und zwar wie Plato sagt, die Musik in Beziehung
auf die Seele, die Gymnastik in Beziehung auf den
Leib. Beide wurden in dieser Zeit mit Begeisterung
gepllegt , wie dies vor Allem Pindar in seinen herrä
liehen Siegeshymnen zeigt; allein beide erscheinen "doch
in sehr verschiedenem Grade entwickelt. Die Musik
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