Religion
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Erfassung.
nisse der Herrn oder Lehrer. Bei den Griechen gab es
nichts so festes; die Priester machten keinen geschlos-
senen Stand aus, sie wurden meistens durch jährliche
Wahl bestimmt, und Wenn auch in einzelnen Fällen ge-
wisse Geschlechter zur Priesterschaft eines bestimmten
Gottes ausschliesslich berufen waren, so gab dies nur
den Ehrenvorzug der Opfer, höchstens einen vorüberge-
henden Einfluss durch die Deutung der Orakel, niemals
Gelegenheit zur bleibenden Leitung des Volkes. Die
mythologischen Ueberlieferungen waren daher auch nicht
Priesterlehren , sondern Volkssagen. Auch bei andern
Völkern hatte die Phantasie dichterisch und sagenhaft
gewirkt; die Anschauungen von mächtigen, wohlthäti-
gen oder feindlichen Naturkräften hatten sich ihnen zu
Sagen von der Abstammung und den Thaten der Göt-
ter gestaltet. Allein immer waren die Priester dann
diejenigen gewesen, deren Autorität diese Sagen prüf-
te und sie nach ihren didaktischen und hierarchischen
Zwecken modelte. Bei den Griechen waltete die Dich-
tung frei; ohne andere Weihe als die der Begeisterung
belehrten die Sänger das Volk auch über das WVesen
der Gottheit und die Pflichten des Menschen. Die from-
men Griechen sprachen es ohne Anstoss aus, dass Homer
und Hesiod die Götter gemacht hätten. Der Sinn des
altgriechischer: Volkes war ein höchst religiöser, aber
diese Religiosität hatte etwas eigenthümlich Freies und
Unbestimmtes; der Gedanke der Ausschliesslichkeit blieb
Völlig entfernt davon. Jedem, der Glaubwürdiges von
den höhcrn Mächten berichtete, hörten sie mit ehrfurchts-
vollem, kindlichen Genlüthe zu; keinem Gotte, von dem
sie Kunde erlangten, verweigerten sie göttliche Ehre. Es
war, als suche man nur Gelegenheit, die natürliche Fröm-