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Zweite
Periode
der
griech.
Kunst.
Gewandtheit auch der Wettgesang an, und wenn das
Lied zunächst die Sieger zu besingen hat, so wendet es
sich auch bald zu zartern Gegenständen. Die Gluth
weiblicher Leidenschaft hatte schon die Oden der Sappho
hervorgetrieben, jetzt scherzte Anakreon mit unvergleich-
licher Anmuth in behaglichster Ruhe. Vor Allem aber
war das Leben selbst schön. Der freieste Verkehr
brachte
einen
WVetteifer
edler
Sitte
unter
den
Städten
hervor. Bei geringen Ansprüchen an Genuss und Luxus
nahm die Wohlhabenheit und Zufriedenheit der Bürger
zu und gab ihnen ein heilsames Selbstgefühl, durch wel-
ches der republikanische Sinn sich in jugendlicher Be-
scheidenheit und Mässigung ausbildete. Selbst wo noch
Tyrannen herrschten, mussten sie durch Wohlthätiges,
gemeinnütziges Wirken ihr Ansehen erhalten, und sie
dienten daher, wenn auch aus Selbstsucht, der allgemeinen
Sache Griechenlands, indem sie neben dem Strengen und
Nützlichen auch das Anmuthige und Schöne förderten.
Freiheit und Kraft ohne Uebermuth, Bescheidenheit und
Gehorsam mit einem edlen Stolze verbunden, das sind
die hervorstechenden Züge dieser Zeit. Alle jene Er-
zählungen von Söhnen, die sich für ihre Mutter opfern,
von Müttern, welche die Liebe für ihre Kinder der für
das Vaterland nachsetzen , von dem unverbrüchlichen
Gehorsam gegen das Gesetz und der Ehrfurcht für die
Götter, von der Bescheidenheit der Jugend und der
strengen Zucht, in welcher sie aufwuchs, sind, selbst
wenn sie durch die Sage vergrössert sein sollten, Beweise
der Sittenreinheit und der ernsten Begeisterung dieser
Zeit. Den Höhepunkt dieser Gesinnung, oder Wenigstens
den, in welchem sie am Anschauliehsten hervortritt, bilden
dann jene Perserkriege, welche innerhalb dieses Zeitraums