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Erste
Periode
der
griech.
Kunst.
sehen Zeit verschwunden. Jene edle Gestalt der Weib-
lichkeit, welche wir in der Penelope, Andromaehe und
Nausikaa des Homer erkennen, finden wir nun nicht
mehr. Das Weib wird mehr oder weniger in orientali-
scher Abgeschlossenheit gehalten, es nimmt an der Oef-
fentlichkeit des Lebens und an der geistigen Bildung der
Männer keinen Antheil. Das Vorherrschen des männlichen
Elements begünstigte zwar die bürgerlichen Tugenden,
aber nicht die, welche dem Kreise der Familie angehö-
ren , und führte, jedoch erst später, zu einer Eutsittlichung
in dieser Beziehung, welche das Verderben und die
Schmach Griechenlands wurde.
Es ist begreiflich, wie diese Sinnesänderung der
bildenden Kunst förderlich sein musste. Betrachten wir
die Gestalten Homers, so ist die plastische Anlage un-
verkennbar, allein eben so deutlich zeigen seine Gedichte
selbst, dass sie noch nicht gereift war. Seine Götter
schildert der Dichter in ihren Handlungen zwar mensch-
lich und bestimmt, aber die Züge ihres Antlitzes werden
uns durch die Beiwörter, welche er ihnen beilegt, un-
deutlich oder als unschön beschrieben. Sie sind in ihrer
Körperbildung phantastisch formlos , von ungeheurer
Grösse, im Falle mehrere Aecker Landes bedeckend, in
ihren Bewegungen maasslos , die Schritte reichen vom
Himmel zu den Gebirgen der Erde. Damit sie sich pla-
stisch gestalteten, bedurfte es noch des genauem Ein-
gehens in die menschliche Natur, des beschränkenden
Maasses. Dies konnte freilich bei so entschiedener Anlage
nicht ausbleiben, sobald sich der Sinn auf die menschlichen
Verhältnisse, auf das Bürgerliche und Sittliche mit Schär-
fe und Liebe wandte; ehe aber diese plastische Richtung
für die Kunst fruchtbar wurde. musste sie das wirkliche