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Griechische
Kunst.
Bestimmung dieser Gränzen hängt dann von dem Geiste,
der die individuelle Kunst beseelt, und daher auch von
der Nationalität des Volkes ab, und das, was die Grie-
chen sich erlaubten, mag andern Zeiten und Völkern
nicht geziemen. Sie, Welche die Natur in ihrer groben
materiellen Wirklichkeit nicht kannten, durften sich ihr
unbefangen nähern; das künstlerische Maass, welches
ihr ganzes Leben regelte, verhütete die Gefahr, durch
allzugrosse Ausdehnung des Gebiets einer einzelnen Kunst
gemein und prosaiseh zu werden. Der strengere Ernst
des christlichen Geistes und die leidenschaftliche Sinn-
lichkeit der entbehrenden, nordischen Völker mag eine
schärfere 'l'rennung der Kunstgattungen, eine grössere
Gefahr des Versinkens in das Alltägliche und Unpoetische
bedingen; bei den Griechen standen alle Künste einander
nahe. Die Malerei blieb in Motiven und Mitteln dem
plastischen Geiste treu, die Plastik verschmähete male-
rische Andeutungen nicht, die Architektur erhöhete ihre
Wirksamkeit durch Sculptur und Farbe, und wurde da-
durch fähig, mit den plastischen Darstellungen und den
Gemälden, welche ihre Räume und Wände schmückten,
ein höchst harmonisches Ganze zu bilden. Die Poesie,
im höchsten Grade das Körperliche durch leichte Andeu-
tungen malend , und die Musik in ihrem strengen lllaasse
die volltönenden , architektoniseh-symmetrischen Verse
begleitend, schlossen sich den bildenden Künsten enge
an. Im festlichen Aufzuge religiöser Feier oder auf dem
Theater, das ja selbst ein religiöses Fest war, vereinig-
ten sich dann alle Künste, um ein erhabenes und phan-
tastisch freies Abbild des schönen griechischen Lebens
im erschütternden Ernst der 'l'ragödie oder in den kühnen
Scherzen der Komödie zu geben. Wie die Künste unter-