Auffassung
der
Natur.
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Gegenstand dieser Ausführung. Auch in dieser Beziehung
war die Lebensfülle des griechischen Volkes zu gross,
die Dauer ihrer Poesie zu anhaltend, als dass ein Gefühl,
welches wirklich da gewesen wäre, nicht einen Ausdruck
gefunden hätte, allenfalls selbst auf Kosten der poetischen
Schönheit. Wir dürfen daher nicht besorgt sein, dass
ein Stylgesetz der Poesie uns den Zutritt in das innere
l-Ieiligthuln der Empfindung verwehre.
Am deutlichsten werden wir uns auch hier wieder
des Resultates durch Vergleichung bewusst werden.
Wenn wir auf die hebräische Dichtung und auf die
Form des Naturgefühls zurückblicken, welche in ihr sich
zeigte, so erinnern wir uns, wie dort die Phantasie des
Sängers mit Blitzessclmelle von einem Gegenstande zum
andern geschleudert wurde, die weiten Räume der Natur
durchflog, und nicht eher rastete, bis sie die Beziehung
auf den Herrn der Natur gefunden hatte. Wie ganz
anders ist es bei den Griechen, wo sich der Dichter so
treu und kräftig in den einzelnen Gegenstand einlebt,
seinen Bewegungen folgt und in seinem Wesen weilt.
So ist es in jenen homerischen Gleichnissen", so auf
andere Weise in den idyllischen Schilderungen des The-
okrit und Moschos. Beide Völker sind in der 'l'hat ent-
schiedene Gegensätze, dort die flüehtigste, vergesslichste
Eile, hier das beharrliche, liebevolle Versenken, dorf die
leichteste, geistigste Berührung, hier die volle Körper-
lichkeit, Auch jene flüchtigen" Metaphern der Juden gehen
aus einem Mitgefühle für die Natur hervor, das aber
nicht die Innigkeit und Wärme des griechischen Natdur-
gefühls besitzt. Dieses hat den Vorzug der Objectivität,
weil es sich dem Gegcnstamle ohne Rückhalt hingiebt;
allein indem es sich dem vereinzelten Gcgenstande