Auffassung
der
'Natur.
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Es ist nicht ganz leicht, dies überzeugend nachzu-
weisen. Aus den Aeusserungen der griechischen Schrift-
steller erfahren wir darüber nichts und können es auch
nicht wohl erwarten. Denn jeder lebt nur innerhalb der
Gränzen seines Wesens und kennt sie nicht von aussen
her. Schon der einzelne Mensch vermag nicht leicht von
seinen Mängeln Rechenschaft zu geben; noch viel weniger
können es ganze Völker, da ihnen die Gelegenheit zu
Vergleichungen noch mehr abgeht. Die beste Auskunft
werden wir erhalten, wenn wir die Aeusserungen des
Naturgefühls auf einem andern, verwandten und zugäng-
licheren Gebiete, in der Poesie beobachten. Da ist denn
schon der alte Homer eine reiche und unverfälschte
Quelle. In seinen Gleichnissen zeigt sich das Naturge-
fühl der Griechen mit aller seiner Feinheit und Vielsei-
tigkeit. Wir sehen darin , dass ihre Empfänglichkeit
keinesweges auf die Aeusserungen des mensghlighel]
Wesens beschränkt, dass ihnen auch die 'I'hierwelt und
selbst die leblose Natur höchst anziehend und verständ-
lich war. Wir bewundern die Feinheit des Sinnes, mit
welcher das Analogon für menschliche Handlungen, Zu-
stände und Empfindungen in der umgebenden Natur ge-
funden, und die Kraft der Phantasie, mit Welcher dieses
Bild ausgemalt wird. Vor allem prächtig und belebt sind
bei I-Iomer die Schilderungen der Thierwelt. Der kriege-
rische Stoff seiner Gesänge wies den Dichter vorzugs-
weise auf das Gebiet eines kräftigen Lebens hin. Da
Vergleicht er denn gern seine anstürmenden Helden mit
dem Löwen oder dem Eber, der "infdie Hunde der Jagd
hochtrotzenden Muthes hineinstürzt." Näher ausmalend
führt er uns in die Geschichte des Wildes ein; er
zeigt: