Körperbildung.
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der unwillkürlich in eine entsprechende Bewegung geß
räth. Selbst in unsern eigenen Aeusserungen liegt eine
rückwirkende Kraft auf unser Gemüth; die Gewöhnung
an milde, harmonische Formen bringt auch die Seele in
einen milden und harmonischen Gang. S0 reihet sich
Eines an das Andere und es ist klar, dass das geübte
Auge des Griechen es empfinden musste, dass nur solche
Formen, welche am Wenigsten geeignet sind, sich zu
heftigen, unmässigen Bewegungen zu entwickeln, seinen
sittlichen Anforderungen entsprachen, dass sie zugleich
die schönen und die sittlichen Waren.
Mit dieser Denkungsweise der Griechen, wie wir sie
im Vorstehenden betrachtet haben, hängt auch der, für
ihre Kunst ebenso wie für ihr ganzes Wesen wichtige
Umstand zusammen, dass-sie jene Scheu vor dem Nack-
ten, welche den Neuem eigen ist, nicht hatten. Bei den
Kampfspielen und ähnlichen Gelegenheiten waren die
Männer entkleidet, die Jünglinge tanzten auch wohl nackt
um die Trophäen beim Siegesfeste, und selbst Alexander
trug kein Bedenken, als er auf der Küste von Ilium den
Göttern und Heroen des Landes Opfer brachte, im Wett-
laufe um Achilles Grab sich jeder Hülle zu entledigen.
In Sparta war es selbst den Jungfrauen geboten, nackt
zu kämpfen, was zwar attischen Augen anstössig er-
schien, aber doch selbst von einem ernsten Philosophen
(Plutarch) gebilligt wird. Sehr merkwürdig ist es aber,
dass diese Zulassung des Nackten nicht ein Ueberbleibsel
ursprünglicher Rohheit, sondern eine in der schönsten
Blüthezeit durchgeführte Sitte war, indem vorher auch
bei den Hellenen asiatische, weichliche Körperverhüllung'
herrschte. Wenn wir daher, wie es wahrscheinlich ist,
einen jener halbasiatischen Civilisation und Tracht vor-