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Griechische
Plastik.
Kopfe, von dem wir so eben sprachen, ist hierbei sehr
wichtig. In diesem geistiger und edler geformten Körper
wird schon von selbst jede Bewegung eine mehr gefühlte,
und dadurch gemilderte, während in dem vollen, sinnlich-
kräftigen Kopfe auch aus dem Ausdrucke des Leidens
oder der Leidenschaft die äusserste Schärfe, die bloss
dem Geiste angehört, verschwindet.
Man sieht hieran, wie die Schönheit der Körperform
von der moralischen Grundansicht abhängt. Dem Griechen,
der kein höheres, geoffenbartes Gesetz hatte, welches
die völlige Unterdrückung der sinnlichen Leidenschaft
forderte, kömite nichts edler und würdiger erscheinen,
als der Geist der Mässigung, der harte Ausbrüche un-
möglich macht. Schon durch ein dunkles Gefühl zog ihn
daher auch die Körperbildung am meisten an, welche
geeignet war, allen Aeusserungen die mildeste Form zu
geben. Hart und leidenschaftlich werden die Aeusserun-
gen der Seele, wenn sie bei der Prätension der Ueber-
sinnlichkeit mit der ihr nun unbekannten äussern Welt
in Berührung kommt, und nun mit plötzlicher, unerwar-
teter Gewalt herausbricht, milde aber, wenn die Seele
sich der Körperwelt nicht so entzogen hat , der Körper
dagegen von ihr völlig durchdrungen und durcharbeitet,
und die natürliche Einheit beider "möglichst vervollkomm-
net und ausgebildet ist.
Wir begreifen ferner hiedurch , wie die Griechen
der Kunst so entschieden eine sittliche Kraft beilegen
konnten. Wo keine festen Vorschriften sind , ist die
Macht des Beispiels am Grössesten; die Art der Aeusse-
rung, die grössere oder mindere Heftigkeit der Bewe-
gungen , die wir sehen , wirkt auf das empfängliche
Gemüth, ähnlich wie der Takt auf den 'l'anzlustigen,