Körperbildung.
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kräftig, aber nicht selbstständig wuchcrnd, sondern durch
die That und zur That ausgebildet. Durch dieses Ver-
hältniss beider Theile ist die höchste mögliche Einheit
des Ganzen hervorgebracht, der Kopf lässt sich von seiner
geistigen Hoheit gleichsam zum Körper herab, während
dieser in einer geistigen Verklärung gereinigt und ver-
edelt erscheint. Der grosse Vorzug der Alten liegt darin,
dass ihnen diese Auffassung natürlich war, während wir
den Kampf des Hauptes mit den Gliedern, des Geistes
mit der Sinnlichkeit nie vergessen können , und stets
eines durch das andere leiden lassen.
Im Ausdrucke und in der Bewegung rühmt man an
den Alten mit Recht die Ruhe. Es lag etwas in ihrer
Sitte, was darauf hinwirkte; die Oeffentlichkeit des Le-
bens, die Wichtigkeit äusseren Anstandes, besonders aber
jener Sinn für Mässigung, die Scheu vor dem Unschö-
nen, Unwürtligen , die ihnen so tief eingeprägt war,
musste unwillkürlich Sorgfalt, Vorsicht und Milde in ihre
Handlungen und Bewegungen bringen. Bei den Spätern,
besonders den Römern trat dies sogar mit gröberer Ab-
sichtlichkeit hervor; es ist bekannt, dass Sterbende im
Augenblicke eines unerwarteten Todes noch daran dach-
ten, sich so zu wenden, dass sie Hinzutretenden keinen
anstössigen Anblick gaben. Die Ruhe der Griechen War
aber weit entfernt von der langsamen, weichlieheir Be-
quemlichkeit der heutigen Orientalen, sie trug vielmehr
immer den Charakter der zurückgehaltenen Thatkraft,
und eben diese Verbindung. des Ausdrucks eines feurigen,
lebenslustigen Geistes in dem gesunden, in Kampfspielen
geübten Körper mit der ungezwungenen sittlichen Ruhe
giebt der Schönheit der griechischen Gestalten einen so
hohen Werth. Jenes Verhältniss der Körperform zum