Volltext: Geschichte der bildenden Künste bei den Alten: Griechen und Römer (Bd. 2 = [1], Bd. 2)

Griechische 
Plastik. 
Augenblicke wieder von einander ab. Ganz anders bei 
den Griechen. Neben jenen obern Göttern, die, wenn 
auch in jedem von ihnen gewisse moralische Begriffe 
vorzugsweise angeschaut wurden, doch stets völlig indi- 
vidualisirte, historische Figuren blieben, gab es noch an- 
dere Gestalten, Welche eben keine andere Bedeutung 
hatten, als gewisse Begriffe darzustellen, die Macht der 
Tugenden oder Leidenschaften und Aehnliclies auszu- 
drücken. Einige dieser Gestalten hatten durch alten Ge- 
brauch eine festere Ausprägung erhalten, welche sie den 
Göttern gleichsam ebenbürtig machte und durch die An- 
gabe ihrer Erzeuger an den Cyclus derselben anreihete. 
So namentlich die Schicksalsgötter, die Eris u. a. Andere 
erscheinen in der Begleitung gewisser Götter, gleichsam 
Eigenschaften oder WVirkungen derselben in gesonderter 
Personilication, wie z. B. im Gefolge des Ares, Nike, 
Polemos, Deimos und Phobos (Sieg, Krieg, Schrecken, 
Furcht). Noch andere endlich sind mehr vereinzelter 
Bedeutung und streifen noch näher an blosse Allegorien 
im modernen Sinne des Wortes, wie etwa. wenn im Ge- 
spräche des Paris mit der Helena die Peitho, die Ueber- 
redungskraft, hinzutritt, um dem Verführer Beistand zu 
leisten. Allein auch diese Gestalten waren für die Grie- 
chen nicht reine Allegorien; sie sprechen die Unwirk- 
lichkeit dieser Wesen nicht, wie die N euern, unumwunden 
aus, sondern ihre dichtende Phantasie gestattet ihnen, sie 
wie göttcrgleiclne Erscheinungen zu behandeln, ohne sich 
dessen bewusst zu werden, dass sie nur Erzeugnisse" 
menschlicher Vorstellungen seien. Je mehr nun im Fort- 
gange der Bildung. des griechischen Volkes das Auge 
für feinere moralische Züge empfänglich wurde, je freier 
die Poesie. mit dem überlieferten, mythologischen Stoffe
	        
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