Volltext: Geschichte der bildenden Künste bei den Alten: Griechen und Römer (Bd. 2 = [1], Bd. 2)

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Griechische 
Plastik. 
vorzugsweise eignen, rein und ungeniischt ausgeprägt 
sind. Hier mögen wir denn wohl anerkennen, dass für 
unser modernes Gefühl beide Geschlechter nicht völlig 
gleich begünstigt sind, dass die weibliche Seite des 
olympischen Kreises weniger vollkommen ist, ja dass 
vielleicht eben die liebenswürdigsten und eigenthümlielr- 
sten Züge des weiblichen Charakters fehlen. Denn wenn 
auch in der Aphrodite der Liebreiz jugendlicher Anmuth, 
in der Hera das Selbstbewusstsein hoher weiblicher 
Würde , in Dcmcter endlich sogar ein nnverkennbarcr 
Zug mütterlicher Liebe, wiewohl nicht mit aller Wärme 
dieses Gefühls, ausgedrückt ist , so fehlt uns immer die 
Gestalt der eigenthüinlich weiblichen Zartheit und Demuth. 
Wir verstehen aber diesen Mangel, wenn wir uns daran 
erinnern, dass dieser Zug sich mit den Begriffen gött- 
licher Hoheit und Selbstgenügsamkeit nicht vertrug, 
und dass überhaupt in der griechischen Sinnesweise dem 
männlichen Element eine vorherrschende Stellung einge- 
räumt war. In der 'I'hat bietet uns dagegen die männ- 
liche Seite dieses Götterkreises die höchsten und (lurclr 
aus unübertroffenen Idealgestalteil ruhiger, besonnener 
Macht und Herrscherwürde, jugendlicher Vollkraft und 
Begeisterung, männlicher Ausdauer und Stärke dar. Be- 
sonders bezeichnend für die Weise, wie die griechische 
Phantasie in ihrer unbewussten Körperdichtung verfuhr, 
sind jene Gestalten, in welchen sich die Eigenthümlich- 
keiten beider Geschlechter vermischen. Weiche, trunkene 
Sinnlichkeit würde eines rein männlich gehaltenen Cha- 
rakters ebensosehr als einer weiblichen Göttergestalt 
unwürdig sein. Jene 'l'runkenheit aber als die Begeiste- 
rung eines Jünglings, jene Weichheit als ein Zug weib. 
licher Empfänglichkeit aufgefasst, verletzen unser Gefühl
	        
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