Die
Göttergestalteln.
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den sind und den Standpunkt gefunden haben, aus welchem
diese Göttergestalten betrachtet werden müssen, so lin-
den wir in der That in ihnen alles Menschliche, was
einer göttlichen Natur nicht unwürdig ist, dargestellt;
freilich und selbst glücklicher Weise nicht in abstract
allgemeinen Personiiieationen , sondern in bestimmten,
durch die historische Entwickelung der griechischen Sage
individuell ausgebildeten Figuren. Der Unterschied unsrer
modernen räuffassuilgsiwreise von der antiken, auf den es
hicbei ankommt, ist, glaube ich, darin zu suchen, dass
wir Neuern die individuellen Charakterzüge überall zu-
nächst als Erzeugnisse oder Eigenschaften der unkörper-
liehen, und daher auch gesehleehtlosen Seele ansehen,
und erst zusätzlich und gleichsam durch eine Concession
den Einfluss und die nothwendige Verschiedenheit beider
Geschlechter berücksichtigen. Dem antiken Sinne lag
solche Trennung fern; auch die geistigen Eigenthümlich-
keiten galten ihm nur als Auslliisse und Modificationen
des natürlichen Unterschiedes der Geschlechter. Eine
solche Beobaehtungsweise giebt schon in moralischer
Beziehung einen Vortheil , indem sie die Unterschiede
vereinfacht, jede weichliche Berücksichtigung launenhafter
Verzerrungen ausschliesst, und Alles von dem Willkür-
lichen und Zufälligen auf das Naturgemässe und Nothwen-
(lige zurückführt. Noch viel grösser aber ist der Vorzug,
den sie der bildenden Phantasie gewährt; denn diese hat
darin ein Mittel den geistigen Ausdruck mannigfaltiger
Charaktere durch die Beziehung auf die Formen der Ge-
schlechter mit höchster Klarheit und Sicherheit darzustellen.
Betrachten wir die Gestalten jenes Kreises unter
diesem Gesichtspunkte, so finden wir zunächst solche,
in welchen die Züge, die dem einen beider Geschlechter