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Griechische
Plastik.
ten, während im Eros auch die Züge des schlanken,
zum Jünglinge heramvachsenden Knaben, oder des heitern
Kindes ihr göttliches Vorbild haben. Unter den Göttinnen
ist Aphrodite die holde Erscheinung jungfräulichen
Liebreizes, bald mehr lockend, bald strenger aufgefasst,
aber immer völlig Weiblich. Hera zeigt die königliche
Würde der Herrscherin, in reinem Selbstgefühl, mütter-
lich, aber in strengerem Ernste, Während Demeter We-
niger erhaben, irdischer, aber auch mehr bewegt von
der schönen Schwäche der Mutterliebe erscheint. Pallas
endlich und Artemis bilden auf der weiblichen Seite
den Uebergang zum männlichen Charakter, indem sie
edle Selbstständigkeit und Thatenlust mit jungfräulicher
Schönheit nnd Strenge verbinden.
Ich darf diese Gestalten als bekannt voraussetzen;
mehr oder Weniger gelungene Nachbildungen sind allge-
mein "verbreitet, und das Verständniss ihrer Formen ist
seit Winkelmailns unvergleichlichen begeisterten Schil-
derungen durch die trelflichen und genauenlBeschreibun-
gen späterer Schriftsteller aufgeschlossen. Es genügt
daher diese kurze Aufzählung, um sie dem Gedächtnisse
tzurüekzurufen und auf die eigenthümliehe Zusammen-
setzung dieses Kreises aufmerksam zu machen. Wollten
wir ihn als eine absichtlich erzeugte und erschöpfende
Darstellung aller menschlichen Charaktere ansehen- und
nach den Begrilfen unserer Zeit prüfen, so Würden wir
ihn eher karg ausgestattet finden und manches vermis-
sen , während andrerscits einige dieser Gestalten, na-
mentlich die, in welchen sich die eigenthümlichen Züge
beider Geschlechter mischen, wie im Bacchos oder in
der Pallas, entbehrlich scheinen möchten. Wenn wir
(lagegen vertrauter mit dem griechischen Geiste gewor-