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Einleitung.
lieh in der Natur des Gegenstandes. In der Malerei wie
in der Architektur scheint das Einheitsprinzip einiger-
massen ausserhalb des Gegenstandes zu liegen; der
Gegenstand ist dieser Schönheit wohl fahig, er bringt
sie aber nicht aus sich selbst, und aus eigener Wurzel
hervor, sondern sie kommt durch eine äussere Kraft,
die darin wirkt, ins Leben. Das Einheitsprinzip ist daher
in beiden Weniger natürlich, als in der Sculptur, und
mehr geistig, es ist eine höhere Ordnung der Dinge.
Bei dieser Verwandtschaft sind beide darin ver-
schieden, dass in der Malerei das Einzelne nicht mehr
die Gestalt des Leblosen hat, sondern auch schon belebt,
mehr oder weniger selbstständig ist. Sie giebt daher
ein reicheres Leben als die Architektur; bei dieser war
es Gesammtleben, mit Ausschluss des Einzellebens, hier
beruht das Gesammtleben vielmehr auf der Lebensfülle
des Einzelnen. Man kann in diesem Sinne sagen, dass
die Architektur eine unvollkommene, vorbereitende An-
deutung der Malerei, und dass diese die vollkommene
Ausführung dessen sei, was in der Architektur nur
geahnt worden. Die Sculptur aber erscheint dann als
die vermittelnde Kunst, indem sie das Einzelleben in
einer ähnlichen Art wie die Architektur das Gesammt-
leben behandelt, und dadurch die Möglichkeit einer Ver-
bindung beider anschaulich macht.
Die drei Künste schreiten daher in einer natürlichen
Ordnung fort, jede folgende fasst ein immer tieferes
geistiges Prinzip auf. Die Architektur nur das Leben
üusserer Ordnung, wie es auch in der unorganischen
Natur erscheint, die Sculptur das Leben des natürlichen
Organismus, "die Malerei das geistige Gesammtlcben
der Welt. Diesem steigenden Fortschritte in geistiger