Die Malerei. 69
Dies Gesammtleben ist nun ein viel geistiger-es, als
das, welches den beiden andern Künsten zum Grunde lag;
ßS lässt sich überall nicht in einzelnen, bestimmten, ma-
teriellen Stoffen nachweisen, es rinnt nicht in bestimmten
Adern und N ervenFiden, sondern es ist durch die feinste
Berührung der Dinge mit einander hervorgebracht- Es
setzt dabei die andern materiellen Regionen voraus, aber
weil es an ihrer Schwere nicht haftet, und sich nur über
ihnen, und nachdem sie vollendet sind, entwickelt, so
haben sie für dies geistigere Leben keine Bedeutung
durch sich selbst, sondern nur durch ihren Schein, der
Raum, der Körper nicht wirklich, sondern nur durch seine
Lichtwirkungen durch Perspective, Schatten und dergl.
Hierdurch unterscheidet sich die Malerei von den beiden
andern bildenden Künsten.
Die Architektur und Sculptur geben die Form wirk-
lich, die Malerei nur den Schein. Sie hängt aber mit
jßder von beiden Künsten wieder auf eigenthümliche Weise
Zusammen, und im Gegensatze gegen die Sculptur kann
man sagen, dass sie sich der Architektur wiederum
nähere. Denn in der Sculptur ist der Gegenstand in sich
Selbst völlig einig, jedes Glied ist untrennbar vom Gan-
Zen, durch ein Naturgesetz damit verbunden. ln der
Architektur wie in der Malerei aber erscheinen die Theile
mehr gesondert; die einzelne Säule ist nicht so noth-
wendig an dieser Stelle wie Arm oder Fuss an der
Statue, ebenso aber kann man die einzelne Gestalt im
Bilde auch unabhängig von der Stelle, welche sie darin
einnimmt, betrachten. Beide geben ein Gesammtleben,
Während die Sculptur ein Einzelleben giebt. In der Sculp-
tur ruht das Prinzip, welches die Erscheinung zu einem
Ganzen macht, das Einheitsprinzip, völlig und ausschliess-