Die Malerei: 65
ausgeprägten Sitte. Im Verhältniss zur Baukunst, in
welcher sich nur die aller allgemeinsten Verhältnisse der
religiösen und politisch-sittlichen Grundanschauung aus-
sprechen, ist der Geist der Plastik sehr viel mehr auf
das Individuelle gerichtet. Wenn dort nur das Allen
gleiche Gesetz zum Vorschein kam, so liegen hier schon
die vielfach verschiedenen Anwendungen desselben, die
aus der Veredlung der Naturverhältnisse in der Familie
entstehen, innerhalb der unmittelbaren Aufgabe. Im Gegen-
satze gegen die mehr subjectiveil Künste, namentlich auch
gegen die Malerei, bleibt aber die Seulptur noch im All-
gemeinen stehen. ,AuI" die feinsten Modilicationen und
zumal auf die Sonderbarkeiten und Abweichungen darf
sie sich nicht einlassen, ihr Reich ist in den einfachen
Verhältnissen, wo Regel und Maass noch vorherrschend
sind.
Die
Malerei.
In der Sculptur hatte die Kunst aufgehört am Boden
Zu haften, statt des allgemeinen Lebens fasste sie das
individuelle auf ; aber sie behielt noch die Form des
Aeüsserlichsten, die Körperform bei, und wurde durch
diese beschränkt und bedingt. In der Malerei leistet sie
auf die volle Körperlichkeit Verzicht, und begnügt sich
mit dem blossen Scheine des Körpers, um mehr geistige
Freiheit des Ausdruckes zu haben. Die Farbe auf einem
Plastischen Werke ist, wenn sie nur in leisen Andeutun-
gen vorkommt, unbedeutend; wenn sie stärker wirkt,
und ihrerseits auch auf eine Darstellung des Lebens An-
Spruch macht, wird sie unschön. Denn in ihr ist schon
S0 Viel von dem Elemente der Bewegung enthalten, dass
l. 5