Die
Sculptur.
63
Natur an sich sind rein, sie sind festes Gesetz; das
Natürliche wird erst dann zum Sinnlichen und Unwiirtli-
gen, Wenn der Mensch sich mit der Schwere Seines
lVillens in dasselbe wirft, und dadurch die ruhige Ord-
nung der Naturgesetze stört ,V indem er sich einem hin-
giebt, das andere vernachlässiget.
Die Sculptur, indem sie daher genöthigt ist, dem
Gesichte statt dieses willkührliclieii bewegten Ausdruckes
etwas von der Ruhe des Körpers zu geben, muss auf
der andern Seite den Körper, um ihn in Harmonie mit
dem Gesichte darzustellen von seiner geistigen Seite
auffassen. Sie muss daher die Regel, nach welcher die
Natur ihn formte, Wodurch sie ihn zu den Zwecken des
geistigen Lebens geschickt machte, deutlich heraustreten
lassen.
Dies ist die Beziehung, in Welcher die Gesetze der
leblosen Natur hier wieder vorkommen, dieselben wie in
der Architektur nur in einer mehr complicirten und be-
stimmteren Anwendung. Die Zahl der geistigen und
natürlichen Zwecke, zu welchen die Gestalt des Men-
Sßllerl geschaffen ist, ist gross, und je nachdem der eine
Qdßr der andere hervortritt, wird auch die Gestalt aus-
gebildet. Die Natur hat uns den Reichthum von ver-
schiedenen Kräften, die Empfänglichkeit für leichte An-
Fügung, und die Bildsamkeit gegeben, um uns für eine
grosse Verschiedenheit der Verhältnisse auszurüsten.
Eine solche Verschiedenheit tritt theils durch unsere
Selbstbestimmung theils schon durch die Regel der Natur
selbst ein; der Mensch ist daher nicht bloss Mensch,
sondern er gehört einer bestimmten Klasse des Alters,
des Geschlechtes, der Anlagen an. Strenge hat die Na-
tur den männlichen und den weiblichen Körper nach ihrer