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Einleitung.
viel stärker hervor. Jenes eigentlich Seelenhafte liegt
nun vorzugsweise im Auge, es spricht sich zwar auch
inden Festen Formen des Gesichtes aus, aber mehr in
den leicht bewegten Zügen und in den Farben. Die
Sculptur, die durch die festen unbewegten Formen wirkt,
kann von diesem Ausdrucke nur einen geringen Anklang
geben, und sie darf daher, um einen vollständigen Aus-
druck des Lebens zu haben, des Körpers nicht entbehren.
Gesicht und Körper stehen aber in gewissem Sinne im
exitgegengesetztcil Verhältnisse; und daher kann es auch
für die Sculptur, wenn sie dem Kopfe einen mehr seelcn-
haften Ausdruck geben will, vortheilhaft sein, den Kör-
per leicht zu verhüllen , um die sinnliche Kraft des Kör-
perlichen zu schwächen. Indessen sind Darstellungen
dieser Art nicht die, in welchen sie ihre Eigenthümlich-
keit am entschiedenstcn ausspricht; dies geschieht viel-
mehr in denen, wo sie den ganzen Körper entblösst zeigt,
und dafür, weil sich damit das eigenthümlich Seelenhafte
im Gesichte nicht verträgt, etwas davon ablässt, das
Gesicht gleichsam einen Ton tiefer stimmt, (lamivt es
zum Körper harmonire.
Der Ausdruck der ganzen Gestalt wird dadurch nicht
weniger geistig und edel. Denn jenes eigenthümlich
Seelenhafte, das im Gesichte seinen Ausdruck hat, und
das uns allerdings im Leben das Wichtigste, in der
Gestalt geliebter Menschen das Liebste ist, ist dennoch
nicht ein so unbedingt Reines, sondern vielmehr ein
Zweideutiges. Denn in diesem Eigenthümlicheil, wie es
einerseits die Gabe und das Mittel des höchsten Heiles
ist, liegt auch andrerseits das Egoistische, die eigen-
willige Abweichung von der festen Regel der Natur,
die Wfillkühr, die Sünde. Die Satzungen, die Triebe der