Die
Architektur
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unverkennbarer Freiheit da. Auf der andern Seite hat
sie aber den Vorzug die reinste und eigenthiimliehste
aller Künste zu sein. Grade weil sie die unorganische
Natur gestaltet, die in der Wirklichkeit am Wenigsten
den Eindruck des Schönen macht, ist sie gezwungen und
berufen, die Gesetze der Kunst am Bestimmtesteu und
Sehärfsten auszuarbeiten. Sie läuft niemals Gefahr, sie
mit den Gesetzen der Wirklichkeit zu verwechseln und
tiadurch in das bloss Angenehme hinabzusinken. Vor
der Musik, die übrigens in der scharfen Sonderung von
der Natur und in der selbstständigen Entwickelung der
Kunstgesetze mit der Architektur verwandt ist, hat diese
den Vorzug des strengem, härtern Stoffes, welcher fal-
sche Motive, Sinnlichkeit und Willkühr, nicht an sich
kommen lässt, oder doch gleich als solche zu erkennen
giebt. Durch diese Strenge und Reinheit der Kunstge-
setze wird die Architektur die Grundlage aller Künste,
alle müssen sie befolgen und wenn sie, mit der Natur
ringend, nach Regeln suchen, auf den architektonischen
Boden zurückgehen. Von der sinnlichen Seite der Er-
scheinung ist die Baukunst am XVeitesten entfernt, da-
gegen kann sie wohl, auf einer Vorstufe ihrer Atlsbildung
Zur Schönheit, das Gebiet des Erhabenen streifen. Wenn
nämlich das Schönheitsgefülml noch nicht ganz ausgebildet
ist, kann es der religiösen Frömmigkeit dadurch zu die-
nen glauben, dass es durch den Kontrast, der Grösse
staunende Ehrfurcht zu erwecken sucht. Bei weiterer
Entwickelung der Kunst wird aber dieser falsche An-
Spruch aufgegeben, und sie wird auch in geistiger Bei
Ziehung mit ihrem Stoffe und ihrer Aufgabe ganz eins.
Es ist nicht ganz leicht den Geist, der in der schö
nen Architektur seinen Ausdruck findet, in WVorten zu