Die Architektur. 49
die der Mensch durch Erfahrung weiss, so sind alle
in gewissem Sinne Natur naehahmend. Dass mehrere
Steine, welche zu einem Gebäude auf einander gefügt
werden sollen, senkrecht über einander gelegt wer-
den müssen, und was sonst von statischen und mathe-
matischen Gesetzen dabei vorkommt; dass bestimmte
Töne mit einander anklingen, zu einander stimmen, und
aufeinander folgen, sind Erfahrungen, und wenn die
Kunst von denselben Anwendung macht, so können wir
sagen, sie ahme diese Verhältnisse der Natur nach. Will
man aber diese Erfahrungen Gesetze nennen, und ein-
wenden, die Kunst folge hier nicht der Natur, sondern
diesen Gesetzen, so ist es auf der andern Seite eben so
sehr ein Gesetz, dass der Körper, in welchem der
menschliche Geist erscheint, so gestaltet ist, wie wir ihn
kennen, und dass bestimmte Handlungen diese oder jene
physischen oder moralischen Folgen haben IIIÜSSCII- Der
Unterschied ist daher nur der, dass die Gesetze der
Zeit und des unbelebten Raums, als die einfachsten und
äussersren der Natur, dem Verstande leicht begreiflich
Sind, während sie in der weiten entwickelten Natur nur
Versteckt vorkommen. Es ist daher bequemer die Wand
vermittelst mechanischer Hülfsmittel, nach dem uns be-
kannten Gesetze der Schwere aufzurichten, als im ein-
zelnen Falle ein zufällig vorkommendes Vorbild in der
Natur aufzusuchen. Das Gesetz aber, weshalb der
Mensch diese bestimmte Gestalt habe, ist ein höchst
tiefes, schwer zugängliches; warum bei bestimmten M0-
diükationen des Alters, Geschlechtes u. s. f. bestimmte
Modifikationen der Gestalt eintreten müssen, ist nicht
leicht zu entwickeln. Die Curven in den Formen tief
menschlichen Gestalt sind noch von keinem Mathematiker
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