Einleitung.
die Kunst, weil sie aus demselben religiösen Sinne her-
vorgeht, kann die einzelnen moralischen Vorschriften,
wenigstens in ihrer höhern Wahrheit und soweit sie
nicht bloss dürftiger Nothbehelf einer ungeschickten Pä-
dagogik sind, nicht verletzen, ohne selbst darunter zu
leiden. Die Moral darf aber hier von der Kunst nichts
erwarten. In jenem höhern Gebiete ethischer Vollendung
und unbewusster Uebung des Guten ist aber die Kunst
wahrhaft Vorbild der Ethik, indem sie die höchste
Durchbildung des Aeussern durch die innere Regel, die
liebevollste flingebung und die würdigste Haltung anschau-
lich macht, dadurch den Sinn für das Edle und Anständige,
für das Kräftige und Beharrliche stählt, und überhaupt,
jedes Mal in verschiedener Weise, reinigend, erhebend,
belebend auf das Gemüth wirkt.
Diese religiöse und moralische Bedeutung wohnt
jedem wahren Kunstwerke "bei, aber natürlich in so ver-
schiedenen Formen, als die Kunstwerke selbst und ihre
Gegenstände verschieden sind. Es versteht sich von
selbst, dass die Kunst ihre Aufgaben nicht ausschliesslich
aus dem Gebiete der Religion und Moral nimmt, dass
sie überhaupt nicht auf das Bedeutende und Hohe in der
Welt beschränkt ist. Vielmehr giebt es keinen Gegen-
stand, der zu unbedeutend für die Kunst und nicht ge-
eignet wäre, von ihr behandelt zu werden, und in jedem
klingt denn auch etwas von jenen höhern geistigen Be-
ziehungen an. Sie hängen untrennbar mit dem Wesen
der Schönheit zusammen, und die Aufgabe der Kunst
besteht gerade darin, die Geistigkeit des Sinnlichen, die
Bedeutung des Unbedeutenden , die Verbindung des
Kleinsten und Aeusserlichsten mit dem Höchsten zu zei-
gen. Der Mensch tritt in der Kunst gleichsam als der