Die Idee des Kunstwerkes. 27
Pietät, die Erscheinung der Religion im Menschen, stets
ihr höchstes Ziel sein wird.
In einer nahen Beziehung steht die Kimst ferner mit
der Moral. Denn diese beruht wie sie auf einer religiösen
Basis und ist dennoch zugleich nach der Naturseite hin-
gewendet; sie geht darauf aus, das Leben des Menschen
nach geistigen Gesetzen zu regeln und gleichsam zu
einem Kunstwerke zu machen. Indem die Moral jedoch
auf die Wirklichkeit gerichtet ist und die rohen Triebe
und Willkührlichkeiten der Einzelnen bändigen soll, hat
sie zwar einen höhern Ernst und die positive Gewissheit
und Bestimmtheit des Gedachten und Wahren vor der
Kunst voraus , entbehrt aber andererseits die Vollendung
und Freiheit des Kunstwerkes. Ihre Lehrsätze haben die
Gestalt trockener und pedantischer Vorschriften, illre
Ausübung bleibt stets mangelhaft und unterbrochen. Die
Unvollkommenheit der irdischen Dinge offenbart sich hier
mehr, als in jeder andern Sphäre; statt der ruhigen Ein-
heit des Kunstwerkes herrscht ewiger Zwiespalt des Sol-
lens und Vollbringens. Allein diese gewaltsame Bändigung
roher Triebe durch äussere Vorschriften setzt auch eine
niedrige Stufe sittlicher Bildung voraus, und das höhere
Ziel der Ethik besteht gerade darin, die Uebung (168
Guten unwillkührlich, zur zweiten Natur zu machen.
YVährend jene Vorschriften gleichsam das Knoehenge-
bäude bilden, ist diese höhere sittliche Durchbildung das
Ideal ihres vollen Lebens. Daher steht denn die Kunst
zu der Moral in einer doppelten Beziehung. Jene strengen
Vorschriften sind ihr an sich fremd; ein Kunstwerk mit
Jlem Zwecke der Einschärfting eines moralischen Satzes
aufstellen, ist geradezu verkehrt. Nur eine negative Ver-
bindung besteht in dieser Beziehung zwischen beiden;