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Aegyptische
Sculptur.
S0 lange der Mensch sich selbst, seine VVürde und Be-
stimmung nicht erkannte, musste er einer der grossen
Weltpotenzen, dem Geiste oder der Natur ausschliesslieh
verfallen oder in haltungslosem Schwanken zwischen ihnen
taumeln. Ein neues Element, ein neuer sittlich geistiger
Boden war daher auch für den Fortschritt der bildenden
Künste nöthig. Die Anlage der Aegypter, ausschliesslicln
für diese Künste günstig, war nicht ausreichend sie
weiter zu fördern.
Nur ein Volk, dessen geistige Anlagen die Keime
Freiheit in sich trugen und fähig waren, sich auch
Poesie und zum freien Gedanken auszubilden, konnte
der
zur
diesen höhern Beruf erfüllen. Die einseitigen Gestaltun-
gen, welche wir bisher betrachteten, sind daher nur die
Vorläufer eines solchen, zu geistiger Totalität ausgestat-
teten Volkes. Indem wir ein solches in Griechenland
kennen lernen, dort die bildenden Künste mit den Künsten
der Rede und des Tones gepaart und Vollständig ent-
wickelt sehen werden, treten wir wie aus einer dunkeln
Vorhalle in das helle Lieht des Tempels, wo die Ge-
stalten in der plastischen Herrlichkeit ihrer Körperbildung
und im malerischen Glanze der Farben aus den stummen
VVänden
hervorschreiten,
und
llllS
mit
seolexxvollex-
bärde
begrüssen.