Verhältniss
zur
Natur;
4-45
Diese Würde ist aber stets dieselbe, und sie wird durch
den Mangel individuellen geistigen Lebens erkauft. Wäh-
rend wir von einem Werke der griechischen Kunst zum
andern fortschreiten, bei jedem neue Anregung, neuen
Genuss finden, gleicht hier eine Gestalt der andern; sie
ermüden, wenn man sie einzeln betrachtet, aber sie wir-
ken in architektonischer Umgebung durch ihre Massen
entweder durch kolossale Vergrösserung oder durch rei-
henweise Vermehrlmg der Zahl.
Die Reliefs gehen zwar über diese steife Ruhe hin-
aus; sie geben eine recht lebendige Anschauung sogar
des häuslichen Lebens jener uralten Vorzeit, und haben
neben diesem historischen Interesse auch in künstlerischer
Beziehung durch ihre N aivetät und die Unbefangenheit
der Auffassung einen grossen Reiz. Diese Lebendigkeit
schliesst sich zwar in sofern an die Ruhe der Statuen
an, als auch hier bloss sinnliche Kraft, nur in der Be-
wegung wie dort in den Formen erscheint; dass sie aber
wirklich schon die Gränzen des ägyptischen Geistes
überschreitet, sehen wir daran, dass er sich der Quelle
dieses regem Lebens nicht bewusst wurde, und daher
auch nicht dazu überging, an den Statuen den Ausdruck
des Starren und Leblosen zu bemerken und zu überwin-
den. Es giebt in der Kunst jedes Volkes einzelne Züge,
in denen es über seinen Standpunkt hinaus greift, die
beschränkte Weltansicht, an der es sonst haftet, gleich-
sam vergisst, und durch die Natur der Dinge weiter
geführt wird, als es sich selbst eingestehen und erklären
kann. Grade solche Züge sind aber stets die anziehend-
sten, indem sich in ihnen das Verdienst des wirklich
erworbenen Standpunktes mit der Ahnung eines höhern
paart, und uns dadurch das Gefühl des unendlichen Fort-