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Aegyptische
Sculptur.
Hieraus ging ferner, wie die Vergrösserung so auch die
Vermehrung dieser Statuen und ihre architektonische Be-
deutung hervor. Denken wir uns die schönsten Werke
des griechischen Meissels, ich will nicht sagen den Apoll
von Belvedere , sondern irgend eine ruhigere Gestalt,
etwa die Pallas von Velletri, in mehreren Exemplaren
wiederholt, so würde kein vortheilhafter Eindruck, und
noch viel weniger ein Ganzes entstehen; jede dieser Fi-
guren macht den Anspruch allein, einzig in ihrer Art zu
sein. Nehmen wir aber die ruhigen Gestalten der ägyp-
tischen Kunst in der Mehrzahl, so hindern sie einander
nicht, vielmehr da jede von ihnen ohnehin nur die Regel
der menschlichen Natur in ihrer allgemeinen Bedeutung
darstellt, so wird dieser Eindruck von Grösse und Würde
durch die Vermehrung nur erhöht.
Andrerseits deutet aber sowohl diese Vergrösserung
als diese Vervielfältigung der Gestalten auf einen Mangel
des Sinnes für menschliche Schönheit hin. Jede Darstel-
lung über Lebensgrösse hat schon etwas Unförmliches
und lässt die feineren Züge unentwickelt. Bei den ägyp-
tischen Kolossen fallt aber das Abenteuerliche und Ge-
waltsame dieser Steigerung um so mehr auf, weil ihre
Statuen nicht etwa durch die Entfernung vom Boden dem
Auge entrückt sind, sondern zu ebner Erde, an dem Fusse
der Mauern stehen, über deren Gesims sie hinausragen.
Die Vorzüge dieser Kunst hängen also mit ihren
Mängeln zusammen. Ihre Werke imponiren uns zwar
nicht bloss durch ihre Masse, sondern auch durch etwas
Geistiges, nämlich durch die schöne Regelmässigkeit der
menschlichen Gestalt, durch den Ausdruck gehaltener
Kraft und würdevoller Ruhe , und durch den heiligen
Ernst, der keine selbstische Regung aufkommen lässt.