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Sculptur.
Aegyptisclne
wissheit anzugeben ist, die aber ohne Zweifel nicht auf
irgend eine gemüthliche Eigenthümlichkeit, sondern nur
auf das dem Gotte zugeschriebene N aturelement hindeuten.
Dieser Mangel des persönlichen Ausdrucks ist die
Ursache, dass uns die Thiere der ägyptischen Sculptur
gelungener scheinen, als die Menschen. An dem Thierc
genügen jene allgemeinen Züge, die regelmässige Bildung
der Glieder und die Andeutung körperlicher Bewegung;
man vermisst nicht den Ausdruck des Charakters wie
an den menschlichen Gestalten. Dennoch muss man an-
erkennen, dass in der Auffassung des menschlichen Baues
in seiner schönen Regehnässigkeit, wie wir ihn hier fin-
den, sich ein weiter entwickelter Schönheitssinn als in
den Thiergestalten bewährt. Es liegt darin immerhin
eine Empfänglichkeit für geistiges Leben im Allgemeinen,
für Regel, Ordnung, Sitte; aber grade weil hier schon
so viel gegeben, machen wir höhere Anforderungen, und
_der Mangel des freien , individuellen Charakters giebt
diesen wohlgebauten Gestalten etwas Starres und Leichen-
haftes. Auch die Thiergestalten sind in der freien Sculp-
tur durchweg ruhig, und zwar liegend dargestellt, auf
den Reliefs dagegen oft höchst lebendig und mit freier,
natürlicher Bewegung. Der Pferde an den Streitwagen
ist schon gedacht, nicht minder charakteristisch sind die
Stiere auf den ländlichen Bildern in den Hypogäen behan-
delt. Auf der Darstellung einer Löwenjagd (in Medynet-
Abu) stürzt der getroffene Löwe auf den Rücken; in
einer Kriegsscene (in Ipsambul) sieht man am Fusse der
feindlichen Burg die Heer-den, welche vom Kriegsschau-
platze fortgetrieben werden, wo denn Stiere und Ziegen,
von der Geissel des Hirten geängstiget, höchst lebendig
und natürlich springen.