Aesthetische
VVün-digung:
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besser als landschaftliche Zeichnungen kennen. Die nahe
Beziehung auf die Natur ist in diesen Gebäuden augenschein-
lieh. Die steilen Aussenwände entsprechen den Felsen, die
Formen der Säulen den Pflanzen des Nilthals. Schon des-
halb ist an eine Uebersiedelung dieser Formen in andere
Gegenden nicht zu denken. Eben so Wenig aber an eine
Trennung oder Veränderung derselben, denn sie hängen
aulls Genaueste wie im Ganzen mit dem Boden so im
Einzelnen unter einander zusammen; ohne jene gewaltige
Stemmung der Mauern würde das einfache Gesims leer
und zwecklos, ohne die Mannigfaltigkeit der Abstufungen
das Ganze einförmig, ohne den Reichthum der Säulen,
Statuen und Farben, trocken und kalt erscheinen.
Eben so eigenthülnlich wie die Natur des Nilthals
ist auch die Gestalt dieser Bauten; sie sind durchaus
local , ausschliesslich ägyptisch. Mit einer so scharf
ausgeprägten Nationalität ist nothwendig. eine gewisse
Einseitigkeit verbunden, die wir denn auch in diesem
Baustyle erkennen. Es ist dies hier das Rücksichtsvolle,
Absiehtliche, die Beziehung auf Eindruck und Wirkung,
und zwar auf eine bestimmte, der ägyptischen N ationa-
lität zusagende Wirkung. In einem höhern Geiste ent-
wickelt sich jede Gestalt frei aus sich heraus, in sich
organisch, unabhängig von allem andern, nur nach ihren
eigenen Gesetzen geformt und gegliedert. So werden
wir die architektonische Form in Griechenland sich entß
wickeln sehen, in sich vollendet, ihre Gliederung nur
nach statischen Gesetzen, nicht mit Beziehung auf irgend
eine beabsichtigte Wirkung , auf eine Rücksicht des
Cultus , nicht mit Nachahmungen natürlicher Gegen-
stände vermischt. Diesen Geist der Freiheit darf man,
wie überhaupt nicht in Aegypten, so auch nicht in der