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Aegyptisclne
Architektur.
gegen sind einladend, geöffnet; freie Höfe, Säulengänge,
geschmückte weite Hallen folgen einander. Bei jenen
überdies eine starre Einförmigkeit, bei diesen der reichste
Wechsel verschiedener Formen. Jene erinnern kaum an
etwas Natürliches, diese ahmen, wie wir unten näher
sehen werden, in der Gestaltung ihrer Säulen, die runden,
völligen Formen, die heitere Mannigfaltigkeit der Pflan-
zenwelt nach. N lll' in einer Beziehung ist eine Verwandt-
schaft beider vorhanden. Auch jene andern Gebäude
haben, wenigstens im Aeussern, nicht senkrechte, sondern
schräge, abschüssige Mauern. Namentlich hat man wohl
die beiden grossen Flügelgebäude , an den Eingangs-
thoren der Tempel und Paläste, die s. g. Pylonen, abge-
stumpfte Pyramiden genannt, und im mathematischen Sinne
des Wortes sind sie das auch wirklich. Allein ihrer
aesthetischen Bedeutung nach tragen sie einen ganz an-
dern Charakter. Die Neigung der Seitenllächen der Py-
ramiden übersteigt nur um wenige Grade die Hälfte eines
rechten Winkels, sie gestattet, dass man sie wie einen
Berg ersteige, und das Auge wird daher gleich genöthjgt
sie mit Rücksicht auf ihre Spitze zu würdigen. Die Ab-
weichung der Aussenmauern an den Tempeln und nament-
lich auch an den Pylonen von der senkrechten Linie ist
dagegen eine ganz geringe, kaum so stark wie an den
steilsten Wällerl unserer Festungen, ein Ersteigen ist
nicht wohl möglich. Wollte man diese schrägen Wände
lbrtführen, bis sie sich zu einer Spitze vereinigten, so
würde das Gebäude alles menschliche Maass weit über-
steigen; der kühnsten Phantasie kann es nicht einfallen,
daran zu denken. Die schräge Linie dieser Mauern giebt
(laher keinesweges das Gefühl einer, wenn auch nur an-
gedeuteten und begonnenen Concentration, sondern viel-