Die
Schönheit.
lö
Zauberin, welche dem Geiste seine eignen Gebilde wie
selbstständige Wesen erscheinen lässt, Zeus Schoosskind,
wie der Dichter sie nennt, sein verzärteltes, liebstes
Kind. Bei ihren leisesten, unschuldigsten Regungen iiih-
len wir schon etwas von der belebenden Kraft der Schön-
heit, und dies wohlthätige Gefühl ruht auf dem Bewusst-
sein, dass die Gestalten, die sie uns verführt, unsre
eignen Geschöpfe, nicht wirkliche Dinge sind. YVenn die
Kinder spielend die ernsten Handlungen der Erwachsenen
nachahmen, sind sie sich wohl bewusst, dass sie nicht
wirklich handeln, dass sie aus der leeren Tasse nicht
trinken, dass die Puppe nicht Leben habe, dass der Knabe,
dem der Faden angebunden, kein Pferd sei; aber grade
dieser. vorgestellte, ihnen selbst angehörige Schein des
Wirklichen ergötzt sie und giebt dem Spiele den Reiz,
welcher noch in späten Jahren in uns nachklingt. Auf
demselben Gefühle beruht das Wohlgefallen, das wir an
unsern Träumen haben, das zauberische Licht, in welchem
die Vergangenheit, die trübe, Wie die heitere, sogar die
unbedeutende, uns erscheint. Ueberall ist es das Hervor-
rufen des Scheinbaren oder das Versetzen wirklicher
Erscheinungen in die Unwirklichkeit, welche uns erfreut.
Aber die Phantasie führt uns noch nicht zur Schön-
heit, wenn sie sich selbst überlassen ist. Gleichgültig
und seelenlos, in eitler Selbstgefälligkeit und rastloser
Unruhe reisst sie uns fort ins Leere und Wesenlose, oder
zwingt uns zum Hässlichen und Widerlichen, gaukelt
wild und aufregend vor unserm innern Auge umher, und
zwingt uns vor uns selbst zu fliehn, uns schwindelnd
an den wirklichen Dingen festzuhalten, um zur Ruhe und
Besonnenheit wieder zu gelangen.