Die
Schönheit.
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empfinden einen ganz andern Eindruck, als jenes unbe-
fangene Wohlgefallen an der Erscheinung. Versuchen
wir es, von dieser Rücksicht auf die Seele bei der An-
schauung des Wirklich Lebenden zu abstrahiren, so wird
uns der Körper durch seine Schwäche und Hinfälligkeit
grausam enttäuschen, und uns statt der Schönheit viel-
mehr den schauerlichen Eindruck des Leichenhaften ge-
währen. Ebenso wenig können wir aber die Seele für
sich betrachten; sie würde uns als ein flüchtiger, trügeri-
seher Schatten des Lebenden erscheinen. Am Meisten
befriedigen uns noch die Thaten des Menschen, der
Zusammenhang seines Verhaltens, der Abdruck seines
Wesens in der ihn umgebenden Welt. Aber beim ilähern
Eingehn finden wir uns auch hier getäuscht; nicht bloss
Schwächen und Leidenschaften entstellen das schöne Bild,
Sßfldßrll wir sehen überall die Spuren einer äussern, un-
harmonischen Nothwendigkeit und Zufälligkeit, wir wer-
den genöthigt, die Momente des Entschlusses und der
That zu sondern, und finden uns wieder mitten in jener
WVelt des Zwiespaltes und des Widerspruchs.
Die Erscheinungen der Wirklichkeit, auch diese
edelsten und vollkommensten, geben uns also wohl vor-
übergehend den Eindruck der Schönheit, nähren unsern
Sinn für dieselbe und schärfen die Sehnsucht, aber sie
befriedigen dieselbe nicht. Es ist nur ein Schein, wenn
wir sie unter den wirklichen Dingen gefunden zu haben
meinen. Sie nehmen wohl gleichsam einen Anlauf dazu,
aber ohne ihr Ziel zu erreichen. Sie scheinen nach der
Schönheit zu streben, aber die harte Bedingung der
iVii-klichlaeit vereitelt dies Bemühen. YVas wir für die
Schönheit der Dinge halten, ist nur unser Gefühl für sie,
welches das Fehlende ergänzt, das Entstellende übersieht.