Volltext: Geschichte der bildenden Künste bei den Alten: Die Völker des Orients (Bd. 1 = [1], Bd. 1)

Hieroglyphen. 319 
gelung des Lebens , von welchen alle Aegypter vom 
Könige bis zum niedrigsten Gewerbsmanne abhängig 
waren , mussten dahin wirken , einen Geist der Ruhe 
und Zurückhaltung auszubilden. Allein der Gipfel dieses 
ganzen Systems lag in dieser Form der Schrift. Ilätte 
sich hier mit den ersten Elementen der Bildung eine 
freier-e Richtung den Gemüthern eingeprägt, so würde 
sich allmählig eine lebendigere Litteratur und jene Nei- 
gung zm- Reflexion entwickelt haben, welche die Einsicht 
der Einzelnen und die Wissenschaften fördert, aber auch 
die bestehenden Einrichtungen prüft und den schweigsamen 
Glauben aufhebt. Diesem Uebel war sofort durch das 
graphische System der Aegypter vorgebeugt. Eine Buch- 
stabenschrift war da , der Verkehr entbehrte dieses 
Hülfsmittels nicht, aber sie trug den Charakter des Ge- 
meinen, war nur den wechselnden Dialekten angepasst, 
für alle höheren Zwecke unanständig gehalten. Für diese 
galt nur jene zusammengesetzte Bilderschrift, welche 
durch ihre Pracht die Vorstellung von Würde und Heilig- 
keit, durch ihre Mannigfaltigkeit die Gelegenheit zu er- 
baulichen Auslegungen gab, und welche ausreichend war, 
um die Eigenschaften der Götter, die Tugenden und 
Würde des Königs und der Priester auszudrücken. 
Der Inhalt der hieroglyphischen Schriften ist 
für uns in historischer Beziehung höchst Wichtig, indem 
dadurch die Unsicherheit der griechischen Ueberlieferungen 
gehoben wird. Wir erhalten feste chronologische Puncte 
für die älteste Geschichte und erfahren manches Einzelne 
des historischen Herganges und der Zustände. Namentlich 
werden die, wie man meinte, fabelhaften Berichte der 
Griechen von den Siegen des Sesostris-Ramses durch 
die Denkmäler, welche er hinterliess, durch die Darstellung
	        
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