Land
und
Volk.
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Regen befeuchtet, kaum zur Beweidung zerstreuter Heer-
den geeignet. Da wohnt denn dem Nil eine Kraft bei ,
welche das von ihm durchströmte Thal errettet, ihm eine
grosse Fruchtbarkeit verleihet.
Einige Zeit nach der Frühlings-Nachtgleiche, wenn
die tropische Sonne schon brennend heiss lastet, im Juni,
beginnt der bis dahin seichte Strom zu steigen. In der
Mitte des Monats ist die Nacht des Tropfens, jene wun-
dervolle Nacht, in der, wie die Sage noch jetzt geht,
der kräftige Tropfen vom Himmel in den Nil fällt, wel-
cher den Strom so hoch anschwellen macht. Man bringt
diese Nacht fröhlich auf den Dächern der Häuser oder
im Freien zu. Nun beginnt die Spamiung der Neugier
und Erwartung, man eilt hinaus, um das Wachsen des
Stromes zu beobachten, welches vom Anfang des Juli
an bemerkbarer wird. Je mehr die Hitze auf dem Lande
lastet," desto mehr hebt sich das Wasser im Flusse und in
den Quellen des Bodens; aus dem befeuchteten Schoosse
spriesst der liebliche Lotos hervor, und kühle WVinde
durchwehen das Land erfrischend. Wenn die Sonnengluth
am stärksten ist, hat der Strom die Höhe seiner Ufer
erreicht. Dann werden die Dämme durchstochen , die
Kanäle geöffnet, und bald bedeckt die Fluth das Thal
bis an die Berge. Das ganze Land ist ein See, in dem
nur die Städte auf ihren Hügeln wie Inseln hcrvorragen.
Das Volk in zahllosen Nachen, von dem wohlthätigen
Element getragen, jauchzend und festlich geschmückt,
feiert den Segen, der dem Lande zu Theil wird In der
Schon oft haben die Reisenden: die Festlichkeiten des heutigen
Aegyptens beim Steigen des Nils beschrieben. S. darüber v. Svhubert
Reise in das Morgenland, Il. 1:39. Lane, Manners und customs of
modern Egyptians. ll. 259.