Kunstrichtung.
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Menschlichem und Thierischem, Vermehrung der Gesiclr-
ter, unnatürliche Ansetzung der Flügel. Die christliche
Kunst, so gern sie sich auch an die urkundlichen Be-
schreibungen der heiligen Schrift anschliessen Wollte, hat
es niemals möglich gefunden, ihnen getreu zu bleiben,
sondern immer nur Einzelnes davon mit manchen Aende-
rungen beibehalten.
Suchen wir die vorstellende, bilderschaffende Phan-
tasie der Juden kennen zu lernen, so geben uns ferner
die Visionen der Propheten eine Gelegenheit dazu. Denn
hier soll sich ja ein Bild dem Auge, wenn auch nur dem
innern, dargestellt haben, und der Prophet beabsichtigt
durch seine Worte den Hörer in den Stand zu setzen,
sich seinerseits dies Bild zu vergegenwärtigen. Alle
diese Visionen geben aber dw-chweg ein völlig unklares
und unförmliches Bild, wenn es uns überhaupt gelingt v,
ein solches daraus zusammen zu setzen. Die wunderbar-
sten Glanzlichter, Feuer und Gold, Edelsteine und der
Regenbogen, drängen sich ohne Form und Umriss, und
in diesem wogendeil Glanzmeere zeigen sich dann nicht
etwa reine, bestimmt gezeichnete, architektonische Ge-
stalten (wie es so abstracter, elementarischer Betrachtung
zusagen würde), sondern theils jene monströsen, unförm-
lichen Thiergestalten, die an einer Fülle verschiedenartiger
Formen leiden, theils ganz vereinzelte, dürftige und be-
schränkte Dinge, wie Räder, Leuchter und dergleichen
menschliches lllachwerk, welches der wunderbaren und
weiten Anlage des ganzen Bildes durchaus nicht ent-
spricht. Wir erkennen daher sowohl da, wo die Juden
wirkliches Bildwerk beabsichtigten, als da wo ihre Phan-
tasie bildnerisch schuf, einen Sinn, welcher um Schönheit
der Form wenig besorgt ist, sondern Gegenstände, deren