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Indien.
Es fehlt noch jene Trennung der Elemente, aus welcher
die einzelnen Künste hervorgehen können, noch jene
höhere Trennung des Menschen von der Natur. Daher
streift hier auch noch jede Kunst in das Gebiet der an-
dern über. Die Architektur durch das freie zwecklose
Spiel der Phantasie und durch symbolische Beziehungen
in das Gebiet der Poesie, durch ihre vollen und weichen
Formen, durch das Uebermaass des Reichen und Anmu-
thigen in das Gebiet des Lebendigen, das nur der Plastik
und Malerei zukommt; die Sculptur durch ihre sentimentale
Weichheit in das Musikalische, durch ihre kolossale Grösse
in das Architektonische und in das Poetisch-Symbolische
zugleich. In materieller Uebuilg sind daher die Künste
schon da, aber sie sind noch nicht von dem künstlerischen
Geiste belebt, der ihnen allein ihre Würde verleiht. Die
Geburtstunde der Kunst ist noch nicht gekommen, son-
dern nur der ihr vorhergehende unruhige Traum, in wel-
chem die Gestalten des Guten und Schönen aus dem
Boden des Gefühles aufsteigen, aber sofort von der regel-
losen Phantasie getrieben, sich in das Weite und Maass-
lose ausdehnen und sich in wildem Taumel mit einander
mischen.