Plastik.
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der anscheinenden [Tnveränderlichkeit der bildenden Kunst.
Wenn
in
ihr
noch
nicht
der
Sinn
für
charakteristische
Individualisation erwacht ist, so fehlt ihr das geistige
und bewegende Princip. Wenn die Kunst danach strebt,
einen Charakter in seinem Mittelpunkte zu erfassen und
aus diesem heraus die Gestalt zu construiren, dann ist
es nicht bloss möglich, sondern fast nothwendig, dass
jeder folgende Künstler nach seiner Persönlichkeit einen
andern Standpunkt einnimmt oder über den Gesichts-
kreis seines Vorgängers hinaus sieht. Wo dagegen der
SchönheitsbegriiT nur auf das Allgemeine und Ruhige
gerichtet ist, und die einzelnen Gestalten durch äussere
Zeichen unterschieden sind, da ist keine Veranlassung
zu einer veränderten Auffassung, und sie ist selbst un-
denkbar, denn es würde die Gestalt unverständlich machen.
Bei einer solchen Richtung wird die Kunst nicht dadurch
stationär, dass eine conventionelle religiöse Rücksicht sie
hemmte, sondern ihr Lebensprincip ist schon seinem Ur-
sprunge nach zu schwach, um sich weiter zu entwickeln,
und das Conventionelle, welches allerdings ein weiteres
Fortschreiten nicht gestattet, wird von ihr selbst herbei
gezogen, weil sie sich ohne solche Hülfsmittel nicht ge-
nügt. Es mag übrigens auch sein, dass diese Unveränder-
lichkeit damit zusammenhängt, dass die Werkmeister nur
Leute der dritten Caste, und mithin ohne die geistige
Bildung der Brahmanen und ohne das Selbstgefühl des
Kriegerstandes, bloss auf Handwerksmässiges angewiesen
waren. Allein es ist dies auch nicht wie eine äussere
Ursache zu betrachten]. Eine Nation, welche die indivi-
duelle Freiheit im [molitischen Leben so Wenig achtet,
dass sie dieselbe durch den Zufall der Geburt bindet,
kann
auch
in
der
Kunst
keinen
Sinn
für
das
Charak-