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Indien.
Bildes nimmt nicht völlig dasselbe Gebiet ein, wie die
der poetischen Vorstellung, und die Thätigkeit des bil-
denden Vermögens beginnt erst da, wo diese vollendet
hat. Auch bei den Griechen waren Homer und I-Iesiod die
Vorgänger und Lehrer der plastischen Kunst,
diese dadurch in ihrer Freiheit litt. Nicht also
ohne dass
in diesem
Verhältnisse, sondern in der Verschiedenheit der geistigen
Richtung beider Völker liegt die Ursache des abweichen-
den Resultates. Bei den Griechen sind schon die Dichter
plastisch, sie zeichnen die Gestalten bestimmt, mensch-
lich, individuell. Deshalb konnten denn auch die Bildner,
indem sie von den Poeten lernten, über ihre Vorstellun-
gen hinaus gehen. Sie nahmen das Plastische aus den-
selben an, streiften das LTngeheuerliche und Phantastische
ab, und strebten frei nach ihrem eigenen Ziele, ohne von
jenen sich loszusagen. Bei den Indern dagegen können
wir den Mangel des plastischen Sinnes schon in den
Dichtern erkennen. Schon ihre Charaktere sind nicht scharf
ausgeprägt
feindlichen
und unterschieden. Mit Ausnahme der erklärt
und bösen Gestalten sind sie meistens in
ziemlich gleicher Temperatur von Edelmuth, Weisheit,
sanftem Sinn und Thatkraft gehalten. Höchstens von den
Frauen erhalten wir ein lebendiges und eigenthümliches
Bild. Die meisten Figuren werden auch in der Poesie
durch Aeusserlichkeiten, durch die Situation, durch eine
willkürliche Begabung, durch Rang, Gefolge und dergl.
charakterisirt. Der Mangel an individuell plastischer Auf-
fassung ist aber in der Poesie vielweniger nachtheilig,
weil sie nicht auf vereinzelte Gestalten angewiesen ist,
sondern ihre wesentlichste Schönheit in den Verhältnissen
derselben zu
recht fühlbar.
einander ruht; er wird in der Plastik erst
In diesem Mangel liegt aber auch der Grund