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Indien.
obgleich ohne nähere Bezeichnung der Muskeln. Gegen
das Ebenmaass und die Verhältnisse der Körpertheile ist
wenig zu erinnern, doch herrscht die Neigung zum Schlan-
ken vor. Arme und Beine sind eher zu lang, und weib-
liche Gestalten sind gewöhnlich bei sehr vollen Hüften
von überaus schmächtigem Leibe. Die Götter werden
meistens in Ruhe dargestellt, liegend oder sitzend, mit
untergeschlagenen Beinen, die Hände auf der Brust oder
im Schoosse. Bei Stehenden ist stets eine nachlässige
Haltung, so dass der Oberkörper sich nach einer Seite
hinneigt, die entgegengesetzte Hüfte heraus tritt, und
die ganze Gestalt eine sanft gebogene Linie (larstellt.
Die Biegungen besonders der Beine an Sitzenden, sind
gewöhnlich stärker und Weicher, als es die feste Ver-
bindung der Glieder und das gewöhnliche Maass der
Dehnbarkeit der Sehnen gestattet. Selbst die Knochen
sind oft wie biegsam behandelt und die Körper neigen
sich, als ob die Schwere des Kopfes sie abwärts ziehe,
wie der rolle Kelch der Blume den dünnen Stengel. Die
Gewänder sind zwar eng anliegend und wenig bemerkbar,
aber der herabgefallene Gürtel verräth eine künstliche
Nachlässigkeit, während die Pracht des Schmuckes auf
üppigen Reichthum hindeutet. Bei manchen Bildwerken,
besonders bei kleinern, ist diese Behandlung nicht ohne
Reiz, indem sie einen Zustand weicher Ruhe und unge-
trübten Genusses anmuthig genug versinnlicht, wie wir
etwas Aehilliches bei manchen orientalischen Mährchen
empfinden. Dagegen erscheint sie bei den kolossalen
Götterbildern der Felsengrotten als ein entschiedener
Mangel. Diese Gestalten, meist dreizehn bis sechszehn
Fuss hoch, also zwei bis dreimal so gross als gewöhnliche
Menschen, entsprechen so ziemlich der Schilderung des