Indien.
auf andere Weise gegeben werden. Nach den Beschrei.
bungen in den Gedichten, zeichnen sie sich vor den
Menschen nicht bloss durch ihre Grösse aus , sondern
auch dadurch, dass sie keinen Schatten werfen, ihre
Augen starr und ohne Blinzeln sind, ihre Füsse den Boden
nicht berühren, dass sie endlich (und diese Bemerkung
bleibt nicht leicht unerwähnt) frei sind von Staub und
Schweiss. Sie tragen kostbaren Schmuck und unverwelk-
liche Kränze. An ihren Wagen tönen die Räder nicht,
unfühlbar ist es, wenn sie die Erde berühren, kein Staub
steigt von ihnen auf. In den Bildwerken wird die über-
menschliche Macht der Götter in ihrer Gestalt durch
eine Vermehrung der Glieder ausgedrückt. Brahma und
Vischnu werden vierköplig und mit einer Verhältniss-
mässigen Zahl der Arme dargestellt, auch dem Siva wer-
den bald vier bald fünf Gesichter beigelegtii), doch
kommt er auch mit einem Kopfe, dann aber dreiäugig
mit einem Auge auf der Stirne vor. Selbst Ravanais, der
Tyrann von Ceylon und Gegner Ramais, also ein feind-
licher Dämon, wird mit zehn l-Iäuptern und zwanzig Armen
dargestellt. Bei andern Gottheiten wird die Kraft dumh
einzelne Glieder mächtiger Thiere angedeutet; Vischnu
kommt einige Male mit dem Kopfe des Löwen und des
Ebers vor, und der Gott Ganesa wird stets mit einem
Elephantenkopfe abgebildet. Wir können aus allen diesem
schon die charakteristische Eigenthümlichkeit des indi-
schen Schönheitssinnes entnehmen. Er ist rege und
empfänglich, aber er neigt sieh zum Zarten und Weich-
liehen. Der Begriff von Kraft ist nicht mit dem der
Schönheit verbunden, es bedarf daher symbolischer Zu-
sätze, um die Vorstellung des Mächtigen zu erwecken,
Bohlen
230.
207: