Grottontcmpel.
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lisch nennen, freilich nicht so, dass den einzelnen For-
men eine bestimmte mystische Beziehung gegeben wäre,
wohl aber so, dass der Styl eine Beziehung auf eine
anderweitige Vorstellung hatte. Der Sehönheitssinn be-
stimmte sich noch nicht aus dem ganzen VVesen des
hlcnschen, sondern wurde durch eine andere 'l'hätigkeit
beherrscht; das Kunstwerk war noch nicht frei und
selbstständig, sondern deutete wie ein Zeichen, auf etwas
Anderes hin. Darum kann es auf uns auch nicht den be-
freienden heitern Eindruck machen. Diese schweren,
schwülstigen Formen, diese dunkelen Höhlen, überladen
mit gigantischem Bildwerke, lassen uns empfinden, dass
sie aus einem unfreien Geiste hervorgegangen; sie deu-
ten ein Unbekanntes und Unverständliches geheimnissvoll
und drohend an. Sie sind daher als Kunstgebilde noch
sehr unvollkommen, denn die Kunst soll der würdige
Ausdruck des freien menschlichen Wesens sein , aber
sie entsprechen eben durch diese Mängel dem dunkeln,
phantastisch-wilden Geiste dieser heidnischen Lehren,
und es offenbart sich daher in ihnen das Grundgesetz
der Kunst, dass sie die Erscheinung der inneren Geistes-
Stimmung sei. Wie aber das indische Heidcnthum schon
der Anfang tieferer Einsicht war, grossartig durch die
erhabenen Gedanken, welche hier zum ersten Male mit
unverkümmerter Gestalt sich geltend machten, zart durch
die menschlichen Gefühle, welche mit jugendlicher Frische
sich entwickelten, so enthält auch diese erste künstleri-
sehe Gestaltung schon Anklänge des Schönen, grossartige
Massen und zarte Linien. Im Ganzen ist zwar die Phan-
tasie noch von den gährenden Naturkräften überwältigt,
sie schwelgt darin voller, maassloser, im Grausigen oder
Weichlichen; aber in diesem Taumel der Sinnlichkeit