Grottentempel.
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Steine auf einander ruhen, giebt die Grundlage ab, auf
welcher sich nach der Richtung des Volkes ein bestimm-
ter Geschmack bildet. Auch bei dem Grottenbau giebt
es für das Innere noch einigermassen feste Verhältnisse,
durch die Rücksicht auf die Haltbarkeit und auf die er-
forderliche Grösse nach den Bedingungen des Cultus.
Dagegen ist die äussere Bearbeitung des durchhöhlten
Felsens ein reiner Luxus, ein Spiel ohne alle Regel. Auf
die Schwere des Stoffes ist nur in soweit Rücksicht zu
nehmen, dass man nicht allzu wild hineinarbeite, und
endlich sogar der feste natürliche Zusammenhang des
Steines nicht genüge, um einzelne Stücke zu tragen.
Uebrigens aber fehlt nicht bloss der Grund der Regel-
mässigkeit, sondern die Phantasie wird sogar durch die
zufälligen Formen des Gebirges zu grösserer Willkühr
gereizt. Jeder weiss ja, wie wunderliche Formen sich in
den Felsen bilden; hereinbrechende Fluthen oder Regen-
bäche, frühere Erdrevolutionen, unbekannte Kräfte man-
cher Art haben ineinander spielend, die regelmässige
Krystallisatioil, die Lage der Steinschichten mannigfaltig
modil-icirt. Kommt etwas dazu, was unsere Phantasie
mehr als gewöhnlich anreizt, etwa das unsichere Lieht
der Dämmerung oder des Mondscheines, so knüpfen sich
Erinnerungen an diese Felsgebilde , drängen und schieben
sich in einander, und bringen abenteuerliche verwirrte
Gestalten vor unsere Seele. Eben so musste es auch dem
uralten Werkmeister ergehen, der, angefüllt mit den Bil-
dern einer wilden mythologischen Tradition, aus dem
Stein das Haus seines Gottes herauszuhauen begann.
Dazu kam noch, dass die zufällige Gestaltung des Steins
benutzt werden konnte und musste, um die Arbeit aus-
führbar zu machen oder zu erleichtern. Das Naturspiel
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