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Indien.
einer egoistischen, kalten, materialistischen Betrachtung
Preis gegeben, welche eine wahrhaft schöne Gestaltung
des sittlichen Wesens noch viel weniger zulässt.
Die gemeinsame Grundlage beider Systeme ist die
pantheistisehe Auffassung, nach welcher die Gottheit
sich in das Weltleben verliert, in allem Einzelnen sich
sinnlich verkörpert und dann Wieder in den Schooss ihrer
ursprünglichen Einheit zurückkehrt, so dass alle _VVesen
in einer Kette von wechselnden Gestaltungen sich endlos
bewegen und das All eine gährende, unruhige Masse
darstellt. Die Schöpfung ist, nach dem Ausdrucke der
brahmanischen Vedantais, nur eine veränderte Form der
göttlichen Substanz, wie die Milch gerinnt, oder das
Wasser gefriert. Diese Grundansicht ist nun aber bei den
Brahmanen in ihrer dichterisch ausgebildeten Mythologie
und in ihrer politisch religiösen Verfassung gemildert,
es sind Klassen und Gattungen der Götter und der Men-
schen festgestellt, so dass sich aus der wüsten unklaren
Einheit ein geordnetes, in festen Abstufungen geglieder-
tes Reich bildet, in welchem schöne Gestalten, mit
sinnlicher Fülle und geistiger Bedeutung, aufsteigen.
Aber freilich macht sich auch bei ihnen jene vernlischende
Grundansicht noch geltend. Auch nach ihrer Vorstellung
wird die Welt wie ein" Traum Brahmeüs oder wie ein
Erzeugniss der Maya, der 'I'äuschung, dargestellt, und
es geht der göttliche Geist durch eine Reihe von Incar-
nationen wechselnd-hindurch. Die Seelenwanderung glan-
ben auch sie in vollem Maasse, die Seelen der abgeschie-
denen Menschen steigen zum Monde auf, fallen im Regen
auf die Erde, und gehen so durch die Pflanzen in das
Thier über, um einen neuen Körper zu gewinnen. In den
Thieren verehren sie daher die Seelen ihrer Vorfahren,